Wer nicht an einem Samstagmorgen die Königstraße entlang
spaziert ist, hat keine Ahnung, was „Konsumgesellschaft“ bedeutet. Hier versammeln sich
alle Marken, teure, billige, das ist Demokratie im Konsum, hier treffen sich
alle, um einzukaufen, und Fußgängerzonen wurden einzig und allein deshalb
geschaffen: um Konsum zu bündeln. Zu jeder Fußgängerzone gehören Parkhäuser,
oder ein Konzept für den öffentlichen Verkehr, was nicht im Interesse der
Autohersteller ist und deshalb nur halbherzig umgesetzt wird.
Hier treffen sich alle, auch diejenigen, die aus dem System
herausgefallen sind und gar nicht einkaufen können, es gibt viele Arme, vor
allem alte Leute, wie sehr klafft die Schere in der Landeshauptstadt
auseinander?
Inmitten der Menschenmasse eine Gruppe Sternsinger, die Spenden
sammeln und eine Spur Weihrauch hinter sich herzieht.
Kann man in Stuttgart Gedichte schreiben? Wie sehr beeinflusst
ein Ort die Art, in der man Texte schreibt? Ich werde hier am Charlottenplatz laute
Gedichte schreiben müssen.
Sonntagmorgen, ich gehe durch den oberen Schlossgarten zum
Bahnhof und erinnere mich, dass ich hier ungefähr 1993 mit P. nachts plakatiert
habe, weiße handgedruckte Unikate mit der Aufschrift „Kunst von weißen
Männern“, wir haben sie an die Staatsgalerie gekleistert und an die Wände
unter den Arkaden des Kunstgebäudes, alles hat sich sehr genau eingeprägt, alles
steht noch wie damals da, nur dass jemand das Licht angeknipst hat.
Sonst war ich kaum je in Stuttgart, ich verbringe drei Monate in
einer fast unbekannten Stadt, das ruft Glücksgefühle hervor, diese Anonymität, diese
Freiheit, ein (nun ja, nicht ganz) unbeschriebenes Blatt zu sein, die man sonst
nicht hat und überall nur kurz. Ja, allen Unkenrufen zum Trotz ist Stuttgart
eine Großstadt, was, so vermute ich, an der Anwesenheit von Museen, Kinos,
Theatern, Literaturorten liegt, an den Exponaten moderner Architektur, hier hört
Nationalität auf und beginnt Internationalität, das gibt mir ein Gefühl von
zuhause.
„There is only one use for a
small town: you hate it and you have to leave“ (Lou Reed)
Das Glockenspiel des Rathauses klingt herüber und kämpft gegen
das Dröhnen des Verkehrs an.
Sonntagnachmittag wird geheiratet. Die hupenden Korsos stauen
sich am Charlottenplatz. Wer ist auf die Idee gekommen, Verkehrsknotenpunkte
als „Platz“ zu bezeichnen, gibt es da nicht so etwas wie denkmalgeschützte
Begriffe, place appellation d’origine controlée, ein Platz ist ein Platz zum Verweilen,
sonst ist er kein Platz.
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