Donnerstag, 28. März 2013

"manif pour tous ... les fascistes"



Eine Gegenbewegung gegen den „mariage pour tous“ („Heirat für alle“), also gegen das Gesetz, das in Frankreich Lesben und Schwule mit Heteros in Sachen Heirat gleichstellen soll, eine solche Bewegung „manif pour tous“, „Demo für alle“ zu nennen, ist, anders kann ich es nicht sagen, faschistisch. „Alle“ sind für die Vertreter dieser Bewegung „alle außer Lesben und Schwule“, genau, denn die sind keine Bürger und haben auch nicht das Recht auf Bürgerrechte …

De nommer le mouvement contre le „mariage pout tous“ „manif pour tous“ témoigne peut-etre d'un certain humour linguistique, mais c'est surtout, à mes yeux, un geste fasciste: “Tous”, ce sont donc “tous hormis les gays et lesbiennes” qui ne font pas partie de la société des bien intentionnés et qui n’ont donc pas droit aux droits civiques …

Nachlese Leipzig

Es war unglaublich: Inmitten der Gewirrs von inkarnierten Mangafiguren, Menschenmassen mit Einkaufswägen, Zuckerwatte schleckenden Jugendlichen (ich übertreibe zur Veranschaulichung und erwähne zur Untermalung einen Gesprächsfetzen, den ich erlauschte. Sagt ein ungefähr fünfzehnjähriges Mädchen zum anderen: "Ich hab herausgefunden, in den Seitengängen bekommt man die meisten kostenlosen Sachen"), also in diesem die Konzentration alles andere als fördernden brouhaha blieben die Menschen stehen und setzten sich und hörten zu ... Das Gespräch zwischen dem brasilianischen Dichter Ricardo Domeneck und seinem Verlager Johannes Frank über dieses Buch
gehörte für mich zu den Highlights der Messe. Mehr über das Buch finden Sie auf der Seite "Interpretationen" dieses Blogs und natürlich auf der Verlagsseite. Und hier nun der Videomitschnitt der von mir beschwärmten Veranstaltung (setzt leider nicht ganz am Anfang des zuerst gelesenen Gedichts ein): Poetisiert euch!

Dienstag, 12. März 2013

Höflichkeit interkulturell

Zweisprachiges Schild auf einem Bahnsteig in Offenburg:

Nicht auf dieser Seite aussteigen!
Ne descendez pas de ce côté, s.v.p.

Freitag, 8. März 2013

Hausacher Tagebuch 3: Schwarzwälder Berlinerisch



Es gibt im Berlinerischen eine grammatikalische  Konstruktion, die ich „Berliner erweiterter Infinitiv mit zu“ nenne: Statt zu sagen „ich hab da noch ein Buch auf dem Nachtisch liegen“, sagt man, „ich hab da noch ein Buch auf dem Nachttisch zu liegen“. Die Erweiterung betrifft Verben, die einen Zustand beschreiben: liegen, sitzen, stehen, kleben, hängen … Neulich erwischte ich mich dabei, wie ich sagte: „Villicht hosch ja noch so ebbes im Keller zu stehe“.  Badisches Berlinerisch oder Berliner Badisch? Ich bin mit drei Sprachen aufgewachsen, mit Französisch, süddeutschem Hochdeutsch und Badisch. In meinem Berliner Alltag spreche ich ein  süddeutsch grundiertes Hochdeutsch mit deutlichen Berliner Einschlägen; „süddeutsch grundiert“ meint in meinem Fall, ich bestehe darauf, Brille und Hut, Uhr und Schal wie einen Mantel anzuziehen, und nicht, wie meine  (Urberliner) Freundin aufzusetzen und umzubinden. Zu saurem Sprudel Mineralwasser zu sagen, widerstrebt mir immer noch, ich binde mir die Schuhbändel und nicht die Schnürsenkel und habe lange gebraucht, um zur Mücke Fliege und zur Schnake Mücke zu sagen. Seit ich hier bin, hat meine Sprache wieder einen merklich badischen Singsang angenommen. Spreche ich mit Berlinern,  wechsle ich wieder zu meinem Berliner Alltagsdeutsch. Das erinnert mich an meine Kindheit, wo ich in der Lage war, mehrmals in einem Satz von Badisch zu Hochdeutsch „umzuschalten“,  wenn ich mich abwechselnd an meinen Vater und an eine Freundin wandte.  Meine Schwester, die in Rheinland-Pfalz lebt, hat vor vielen Jahren ein badisches Wörterbuch angelegt, damit bestimmte Wörter, die man außerhalb des Badischen nie verwendet, nicht in persönliche Vergessenheit geraten. Das Wörterbuch ist seither von uns beiden ergänzt worden und hat mir schon gute Dienste geleistet, zum Beispiel, als ich einige Gedichte des brasilianischen Dichters Douglas Diegues, der in einer portugiesisch-spanischen Mischsprache schreibt, ins Badisch-Hochdeutsche übertrug. Hier ein kleines Beispiel: Viecher die Profit abwerfen/Viecher wo keiner ebbes davon hett/Viecher die Blüten bekommen/Viecher wo net blühe//Viecher wo ondre Viecher uffresse/Viecher die hochvornehm sind oder tierisch/Viecher aus Mist und Mysterium/Viecher uffm Acker und vun dert obbe//Viecher die erotisch sind oder paranoid/Viecher wo ma halt kennt oder wo exotisch sinn/Viecher die Milch geben/Viecher die gibt's gar net//kennt fascht ein Stück von sellem berühmten Ionesco sein/Viecher dass kein Viech ebbes zum Bruddle hett. „Bruddle“ – was für ein lautmalerisches Wort! Man hat sogleich eine schlecht gelaunte, vor sich hinschimpfende Person vor Augen. Weitere Lieblingswörter, die, höre ich sie nach langer Zeit erstmals wieder, mich entzücken, sind: wunderfitzig, lätzrum, bollig, bimmle, bressiere, lupfe, lange, stupfelig, schnipfle, nuffzus, Spinnehuddle. Abber verstehn mi bitte net falsch: Berlinerisch, ick liebe dir, nur könnte es sein, dass ich nach drei Monaten Hausach zurückkehre und etwas sage wie: Na, dit war ja wieda een wunderfitziger Fatzke, und dann hat der die janze Zeit jebruddelt, weil’s ihm pressiert hat … Irjendwie ham die Schuhbändel nich jepasst, warn uust bollig, da haick de Füße in de Schuhe nich mehr jelupft jekriegt … Sind wa ehmt barfuß nuffzus jeloofen uf det stupfelige Gras, dit hatten se wohl nich jeschnipfelt, und am Ende, saick ma, hatten wa allet mit Spinnhuddeln vollzuhängen … (Erschienen am 7.3.2013 im Offenburger Tagblatt)


Mittwoch, 6. März 2013

Krass: Zum Kuckuck

"Zum Kuckuck nochmal", hörte ich heute einen ungefähr fünfjährigen Jungen sagen, auf diese unnachahmliche Art, in der Kinder Tonfall und Körpersprache der Erwachsenen nachspielen. Welcher Erwachsene, frage ich mich, benutzt heute noch "Zum Kuckuck"?

Dienstag, 5. März 2013

Hausacher Tagebuch 2, Fastnacht (Bericht an die Kaiserin von Berlin)



Ihre Majestät, seit ich in diesem von unbeugsamen Schwarzwäldern bevölkerten Städtchen im Kinzigtal angekommen bin, wurde ich Zeugin eigentümlicher Bräuche. So kennen die Hausacher wohl Wochentage und unterscheiden einen Donnerstag von einem Montag, doch das scheinen die Überreste einer archaischen Zeitzählung zu sein: Für die Hausacher ist immer Wochenende, statt happy hour gibt es glückliche Tage, zu denen man hier Fasent sagt, und es kommt mir so vor, als beuge sich dies Völkchen nicht einmal dem Schlaf. Gut möglich, dass das an einem durchsichtigen Getränk liegt, das ein Pferd im Namen trägt – vermutlich ein Pferdeschnaps –, oder an einem regionalen Ruf – Narri Narro –, mit dem sich die Hausacher stets begrüßen, und der, so nehme ich an, magische Eigenschaften besitzt. Wenn sie nicht Balladen oder Bänkellieder singend durch die Wirtschaften ziehen, so versammeln sie sich nach Anbruch der Dunkelheit und folgen einem Laternenmond durch die Straßen, wobei sie eine seltsam schräge, zauberhafte Musik aus leeren Fässern, Topfdeckeln und Tröten – zu denen man hier Päpern sagt – veranstalten, die sie in die Lage versetzt, auch bei dichtestem Schneetreiben und eisiger Kälte stundenlang durch den Ort zu stapfen. Ihre Majestät, gehörte ich nicht der schreibenden, sondern der komponierenden Zunft an, ich komponierte auf der Stelle ein Stück mit dem Titel „Große Katzenmusik“, das diese wundersamen Töne enthielte, und widmete es den Hausachern. Und, Ihre Majestät, es gibt auch eine Narrenmesse, die sich über leere Bänke nicht zu beklagen braucht und in der eine Blaskapelle den Ton angibt. Der Pfarrer trägt eine bunte Kappe, predigt in Reimen und hält seine Gemeinde dazu an, im Kanon zu singen. Über all dem liegt das Klingeln und Klimpern der Glöckchen des äußerst kleidsamen, rotgelbgrünen Gewands der Harlekine, zu denen man hier Hansele sagt. Ach, würden mir doch die Ohren immer so klingen! Auch die anderen Gemeindemitglieder sind eigenwillig gekleidet, überhaupt sind die Hausacher sehr modebewusst und veranstalteten dieser Tage sogar eine Modenschau, zu der Mannequins aus der gesamten Region anreisten und auf gewitzt gestalteten Laufstegen durchs Dorf gefahren wurden. Ich staunte nicht schlecht, denn diese Schwarzwälder beugen sich offenbar auch nicht dem Joch der Rentabilität, das im Rest Europas Unheil anrichtet, denn diese Laufstege werden von den Stadtbewohnern freiwillig und enthusiastisch vor jeder Modenschau erneut konzipiert und gezimmert! Vielleicht liegt das an den vielen Handwerkern, die in dieses Städtchen zählt, 5% der Bevölkerung, 307 Männer und Frauen legten am Montagmorgen ihre Arbeit nieder, eine Streikbeteiligung, die die Gewerkschaften des Landes vor Neid erblassen lassen würde. Ihre Majestät, vielleicht solltet Ihr die Hausacher Handwerker in Berlin engagieren, dann könnte es doch noch etwas werden mit dem Flughafen, aber ich fürchte, die Hausacher Handwerker sind mit dem hiesigen Schwimmbad beschäftigt. Oder sie vertreiben sich die Zeit mit Literatur, in deren Namen, stellt Euch vor!, sie ihre Arbeit niederlegten, überhaupt neigen die Hausacher dazu, in Reimen und Liedern zu sprechen, dass man ganz närrisch davon wird. Ihre Majestät, sollte Euch das Berliner Treiben einmal zu bunt werden, so rate ich Euch: Kommt nach Hausach, hier treiben sie‘s noch bunter!
P.S. Die Hausacher haben mich zum Narren gehalten: Die glücklichen Tage haben doch ein Ende. Gestern haben sie jammernd und jaulend die Fasent durchs Städtchen zu Grabe getragen. Ich glaube, die Hausacher lieben ihre Fasent wirklich sehr …
(Erschienen am 14.2. 2013 im Offenburger Tagblatt)

Hausacher Tagebuch 1, Ankunft

 

Über Hausach schreiben -- aber wo anfangen, wenn ich doch im vergangenen Sommer schon auf dem Leselenz war und bei meiner Abfahrt den Eindruck hatte, bereits angekommen zu sein? Wenn Hausach so etwas wie ein „Heimspiel“ ist? Ich bin sechzig Kilometer nördlich, bei Achern, großgeworden, sage „dreiviertel Drei“ (wie übrigens auch die Berliner) und kann mich problemlos am Tsischdi oder Dunschdi verabreden, wobei es mit der schriftlichen Umsetzung hapert, denn Badisch war für mich die Drittsprache, die Sprache der Nachbarn, Klassenkameraden und Freunde, die zu schreiben mir nie in den Sinn gekommen wäre. „Nichts, was nicht ausgesprochen wird, wird notiert“, sagt José Oliver, kein „ie“ also, kein silbenverlängerndes „h“. Wo also anfangen, wenn ich beim Leselenz gewarnt wurde, Hausach sei nicht immer so, und ich nun, vorauseilend mit Blick auf die Fasent, wiederum hören musste: Hausach ist nicht immer so. Aber wie ist Hausach dann? Dieser Frage auf den Grund zu gehen, werde ich drei Monate Zeit haben, und das könnte ein guter Anfang sein, wenn ich nicht davon überzeugt wäre, dass nichts ist, wie es ist, und die Menschen und Dinge, will man sie ein für alle Mal deuten, entschlüpfen. Versuche ich es also mit der Ankunft als Anfang, beuge mich der Chronologie, die keine Chronik werden soll, beginne, wie schon weit bekanntere Persönlichkeiten vor mir, mit dem Licht, das es in Hausach genausowenig gibt, wie in Berlin ­– gemeint ist wohlgemerkt und vorerst das himmlische Licht, das sich diesen Winter nicht zeigen will, weder hier noch dort. Es dämmert, als ich am ersten Februar am Hausacher Bahnhof ankomme, und es sieht so aus, als hätte es den ganzen Tag nichts anderes getan außer schummern und schütten. José hat am Telefon gesagt, „wir holen dich ab“ – dass „wir“ allerdings eine Delegation von vier Hausachern bedeuten könnte, hätte ich mir nicht träumen lassen: José, Miloud und der Bürgermeister und seine Frau, Herr und Frau Wöhrle, stehen auf dem Bahnsteig zu meiner Begrüßung, was, wie sich herausstellt, zwar dem Zufall geschuldet, aber dennoch eine schöne Überraschung ist. José und Miloud fahren mich zum Moolerhiisli, in das ich im Sommer schon einen Blick hatte werfen dürfen, und wir verabreden uns für später, das heißt, für in Kürze, denn Hausach ist eben doch so, und die Fasent ruft, wenn auch nicht die eigentliche, sondern die der Sulzbachhexen – doch als ich gerade aufbrechen will, fällt mit einem charakteristischen „Klack“ der Strom aus. Soviel zum irdischen Licht, denke ich und muss kichern ob der surrealen Situation und weil ich beim Einräumen schon Kerzen lokalisiert habe, nicht aber Streichhölzer. Mit der Taschentelefonlampe suche ich Schuhe, Anorak und Geldbeutel zusammen (der in Norddeutschland Geldbörse heißt und in Berlin Portemonnaie) und breche auf, hoffend, dass mich später eine hell erleuchtete Wohnung erwarten wird. Was sie auch tut, später, um zwei Uhr nachts, und ich bin kaum zuhause, da klopft es an der Tür. „Wer da?“, rufe ich, und komme mir vor wie im Hörspiel (sagt irgendjemand im echten Leben „wer da“?). „Die Polizei“, antwortet es, und ich kichere wieder, denke, die Hausacher, die haben wirklich Humor. „Die Polizei hat um diese Zeit hier nichts zu suchen“, sage ich, doch der Mann draußen insistiert und ich öffne belustigt die Tür, registriere, dass ich im „echten Leben“ niemandem Unbekanntem um zwei Uhr nachts einfach so die Tür öffnen würde, in Hausach aber schon, und vor der Tür steht tatsächlich ein Polizist, schaut genauso verdutzt wie ich und stammelt: „Ha, mir hän gdenkt, s Moolerhiisli, hell erleuchtet, nachts um zwei, gucke ma lieber mol nochm Rächte. Stadtschreiberin, alles klar, sehe se, mir passe guet uff Sie uff!“ Womit ich beim Ende meiner Ankunft in Hausach angekommen wäre, die schon viel länger angefangen hat, letzten Sommer oder vor vielen Jahren, als ich mit einer Freundin, deren Mutter Hornbergerin ist, mehrmals durchs Kinzigtal radelte: Der rote Faden wird immer erst im Nachhinein aus unterschiedlichen Stücken zusammengeknüpft … Abba des isch doch am End als grad egal!
(Erschienen am 7.2. 2013 im Offenburger Tagblatt)