Mittwoch, 21. Dezember 2016

Sicherheitsrisiken

Folgt man der Logik der CSU, der AfD und ähnlichen Zusammenschlüssen müssten alle Schulen geschlossen werden. Kein Schüler dürfte/müsste noch in die Schule. Viel zu gefährlich! Es könnte ja ein Amokläufer unter den Schülern sein. Und was ist mit Männern? Ich meine Männern im Allgemeinen? Alle weg von der Straße, viel zu gefährlich. Und Soldaten? Sind Mörder. Eigentlich sind wir alle tickende Zeitbomben. Ich schlage also vor: Alle raus aus Deutschland! Alles andere gefährdet unsere Sicherheit.

Freitag, 11. November 2016

Der real existierende Kapitalismus. Versuch, ein paar Gedanken zu ordnen in einer verwirrenden Zeit



Die Eliten sind also Schuld an der Misere. So einfach ist das. Wer aber soll das genau sein? Die politischen Entscheidungsträger? Journalisten? Linke Akademiker (nie die rechten)? Ist eine arbeitslose, taxifahrende, linkspolitisch aktive, bloggende Akademikerin die Elite? Oder eher die Erbmillionärin? Was wäre mit einer Verlegerin, die aus einem „bildungsfernen“ Milieu stammt? Es gibt keine monolithische Gruppe der „Eliten“, dem ein „entrechtetes Volk“ gegenüberstünde. Genau, denn wer „Eliten“ sagt, sagt auch „Volk“. Und bedient sich also munter im rechtspopulistischen Setzbaukasten.
Geht es bei diesem Elitendiskurs vielleicht darum, nicht aussprechen zu müssen, was offensichtlich ist: Dass der Erfolg rechter und rechtspopulistischer Ideen eng mit dem aktuellen, neoliberalen Wirtschaftssystem zu tun hat? Mit Gesellschaften, in denen Marktlogik längst politische Visionen ersetzt hat, und noch jeder gesellschaftliche Bereich, bald schon jede Geste auf Rentabilität (für wenige) reduziert wird? In der jeglicher Versuch, sich dagegen zu wehren als unrealistisch und spinnert abgetan wird?
Ich will nicht sagen, dass es einfache Antworten gibt. „Der“ Neoliberalismus ist genau so wenig allein „Schuld“ wie angeblich monolithische „Eliten“. Aber man kann nicht so tun, als hätte das eine mit dem anderen nichts oder nur zufällig zu tun. Sicher ist jedenfalls, dass Kategorien wie „Ökonomie“ und „Wirtschaftssystem“ auffällig abwesend sind, wenn darum geht, Erklärungen für aktuelle Entwicklungen zu suchen.
Das liegt zum einen natürlich daran, dass das neoliberale Credo im Großen und Ganzen nach wie vor unangetastet bleibt bzw. mit Händen, Füßen und viel Lobbyismus verteidigt wird.
Das liegt aber vielleicht auch daran, dass das Herzstück des linken Diskurses ab den 90er Jahren von den Linken (zu denen ich mich zähle) selbst fallen gelassen wurde: Zum einen war es schwierig geworden, in einer Welt über Ökonomie zu sprechen, in der gerade der Kapitalismus gesiegt hatte (und sich linke Systeme nicht gerade durch menschenrechtliche Höchstleistungen ausgezeichnet hatten); zum einen gab es neue Kämpfe zu kämpfen: um die rechtliche Gleichstellung unterschiedlichster Gruppen, die in linken Diskursen bisher „Nebenwidersprüche“ gewesen waren oder gar nicht erst auftauchten: Frauen, Schwarze, Andersbefähigte, Lesben, Schwule, Transsexuelle usw. usw.  (all diese Begriffe verstehe ich als politische Kategorien, als Kampfbegriffe). Und das war und ist gut so, es gibt immer noch viel zu tun und schon wieder viel zu verteidigen!
Nur dass also die ökonomische Definitionsmacht ab spätestens Ende der 90er solchen Organisationen wie der INSM oblag (hier meine Meinung dazu; das soll schon 11 Jahre her sein?), die mit ihren selbsternannten Experten aufgebrochen waren, die Gesellschaft in ihrem Sinne umzudeuten und das neoliberale Mantra hoch und runter beteten, bis (fast) alle es geschluckt hatten: Privatisierung, Marktliberalisierung (außer, wenn es um Verluste geht), Abbau des Sozialstaates, Alternativlosigkeit etc. etc. etc. Als ob es nicht immer Alternativen gäbe!
Linke Kritik daran hat es immer gegeben, ist aber zunehmend untergegangen in der Vervielfältigung der Stimmen oder angesichts einer gefühlt komplexer gewordenen Post-Kalter-Krieg-Welt, deren neue geographische Linien, technologische Entwicklungen, politische Verwerfungen sich so rasend schnell entwickeln, dass man mit dem Denken kaum hinterher kommt … Oder weil man im Konsumentenalltag selbst davon profitierte? Weil Kapitalismuskritik schnell ins verschwörungstheoretische, antisemitische Fahrwasser gerät? Weil die Kämpfe für Gleichstellung und gegen Diskriminierung so erfolgreich waren und rechtliche und gesellschaftliche Umwälzungen zur Folge hatte, von denen man nicht zu träumen gewagt hatte? Wahrscheinlich (mindestens) all das zusammen.
Inzwischen kommt es mir so vor, als seien Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsgesetze eine Art Zugeständnis gewesen (eines, das nicht viel kostet, sondern im Gegenteil neue Konsumentengruppen bringt), in dessen Windschatten der Abbau des (kostenintensiven) Sozialstaats betrieben und Steuer- und Wirtschaftsgesetze so verändert oder erlassen wurden, dass die Schere zwischen Arm und Reich zumindest in Deutschland inzwischen so weit auseinanderdriftet ist wie nie zuvor nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine egalitäre Gesellschaft muss aber auch ökonomisch egalitär sein, sonst ist sie nicht egalitär. Auch das Recht auf Wohnen und Arbeit und ärztliche Versorgung muss in der heutigen Welt ein Menschenrecht sein (und ist es nur für wenige in einem kleinen Teil der Welt).
Hier kommt das Gefühl des Abgehängtseins ins Spiel, das also durchaus den Fakten entspricht. Auf dem das (postfaktische) Gefühl aufbaut, die Gesetzgebungen der letzten Jahre hätten allein „Minderheiten“ gegolten. Die demnach als Profiteure des Systems angesehen werden. Dass da ein bisschen etwas nachzuholen ist, dass 20 Jahre dieser Entwicklung hier mehreren 1000 Jahren gegenüberstehen, in denen es anders war – geschenkt (abgesehen davon, dass Rassismus und Hass und Beleidigtsein noch ganz andere historische, psychologische usw. Wurzeln hat).
Trotzdem: Es gibt hier einen Widerspruch, der nicht so ohne weiteres aufzulösen ist.
Entsolidarisierung (Hartz IV-Bashing!), „Bildungsmisere“, Kürzung der Sozialausgaben (und somit der Gelder für soziale Projekte, Stadtteilarbeit, Frauenhäuser, Aussteigerprojekte usw.); überteuerte Mieten, aberwitzige Immobilienpreise, prekäre Arbeitsverhältnisse, Drittmittelforschung; überhaupt die Tatsache, dass gesellschaftswissenschaftliche Fächer (die gesellschaftliche Entwicklungen begleiten, analysieren, Ideen in die Welt setzen sollen)  an den Universitäten finanziell ins Abseits gedrängt werden; eine Steuer- und Wirtschaftspolitik mit inhärenter Selbstentmachtung der Staaten (angefangen bei der konditionslosen Bankenrettung und kulminierend in den berühmtberüchtigten Schiedsgerichten) ---
Es gibt viele Gründe, sich den Diskurs über Ökonomie zurückzuholen. Über Ökonomie und Staat in einer globalisierten Welt, in der Grenzen zwar für Menschen nach wie vor (und wieder vermehrt) gelten, jedoch immer weniger für Güter. Was für Kontrollmechanismen muss es geben, kann es geben, wie können wir egalitäre Gesellschaften schaffen, die nicht national definiert und begrenzt sind? Welche Rolle spielen Zivilgesellschaft und Rechtsstaat? Viele viele Fragen. Und letzten Endes auch die, ob Demokratie mit dem real existierenden Kapitalismus überhaupt vereinbar ist. Ich zweifle mehr denn je daran ...

Mittwoch, 9. November 2016

Parteien des Gefühlten

... und nein, ich bin nicht geschockt. Ich war gechockt, als ich diese Massen einem Mann zujubeln sah, der gequirlte Scheiße spricht, heute das Gegenteil von dem erzählt, das er morgen als Wahrheit verkündet, ich war geschockt, weil sie umso lauter jubelten, je gemeiner, hasserfüllter, dümmer er sprach. Warum sollten Menschen, die so jubelt, den Bejubelten plötzlich nicht wählen? Auch beim Verhältnis Jubel zu Wahlverhalten hätte ein Blick in die (nie vergleichbare) Geschichte genügt. Der Fehler ist, immer noch an etwas zu glauben, das sich Fortschritt nennt. Zu glauben, dass das, was ich Fortschritt nenne, andere auch fortschrittlich finden. Das Wort an sich ist ja historisch äußerst zweifelhaft. Der Fehler ist, an die Vernunft zu glauben, daran, dass einleuchtend erscheinende Argumente irgendetwas oder irgendwen erreichen könnten. Es leuchtet hier und da eben ganz anders. Und vor allem geht es ums Gefühl. Alte weiße Männer fühlen sich unterdrückt. Weiße fühlen sich unterdrückt usw. usw. Und auch die AfD ist eine Partei des Gefühlten.

Wen ich gerne als Präsidenten hätte



Gestern (die US-Amerikaner*innen waren bereits auf dem Weg zu den Urnen) war Daniel Cohn-Bendit bei France Culture eingeladen und sprach, aus französischer Sicht, von drei politischen Katastrophen: Die erste habe schon stattgefunden und sei der Brexit; die zweite wäre Donald Trump; die dritte ein zweiter Wahlgang bei den französischen Präsidentschaftswahlen mit Sarkosy-Le Pen. Er zeichnete ein (nun eingetretenes) Szenario, in dem Landesoberhäupter Trump, Putin, Orban, Erdogan heißen; selbst wenn Le Pen in Frankreich nicht gewinne, meinte Cohn-Bendit, sei das nicht gerade rosig. Und er hat nicht einmal Polen erwähnt.
Genau, dieses Szenario jetzt. Das ist, was mir am meisten Angst macht. Als nächstes könnte Österreich dran sein (auch wenn die Befugnisse des Präsidenten dort nicht mit denen eines us-amerikanischen oder französischen vergleichbar sind), Deutschland hat vermutlich noch eine Legislaturperiode länger vor sich, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis eine charismatische Figur das (personelle) politische Vakuum ausnützt, das Merkel hinterlassen hat. Das wird jemand von der AfD sein oder von einer Partei, die vielleicht noch gegründet wird und ach so überraschend 30% gewinnt. Und was ist mit Schweden, Finnland? Eine schwedische Dichterin erzählte mir, in dem Vorort von Stockholm, in dem sie lebt, seien 30% der Klassenkamerad*innen ihrer Tochter rechtsradikal. Die sind heute 17 und werden morgen wählen.
Wieso waren sich – erst Recht nach dem Brexit – eigentlich alle so sicher, Trump werde nicht gewinnen? Weil das, was nicht passieren „darf“ nicht passieren wird? Ein Blick in die Geschichte würde genügen, um zu wissen, dass sehr wohl „passieren“ kann (façon de dire; es fällt ja nichts vom Himmel), was undenkbar ist.
Jetzt wird gleich Trump ans Mikro kommen. Ich schalte das Radio aus. Das will ich mir nicht antun. Ich werde ihn noch oft genug hören müssen.
Ich wäre eh für Cohn-Bendit for president. Von irgendeinem Land, wenigstens das.


Mittwoch, 31. August 2016

Brasilien



Dilma Rousseff ist heute abgesetzt worden. Das nennt man einen Putsch mit demokratischen Mitteln. Laut Spiegel werde „Temer, der an den Finanzmärkten mehr Vertrauen genießt“, „von vielen [Brasilianern] als das kleinere Übel angesehen“. Das ist also heute Politik. Vertrauen an den Finanzmärkten. Privatisierungen und Kürzungen im Staatsapparat als Ausweg aus der Krise, zum hundertzehnten Male auf der Welt, obwohl das kein einziges Mal aus der Krise geführt hat, weil es nicht die Ursachen der Krisen bekämpft. Deprimierend.