Samstag, 28. März 2015

Schnuller und Smartphone



Gestern, einundzwanzig Uhr in der Kneipe: Ein Kinderwagen, darin ein Kind, höchstens zweieinhalb, im Mund ein Schnuller und in der Hand … ein Smartphone, das es mit diesem professionellen Fingerwisch betätigte, als hätte es nie etwas anderes getan (hat es wahrscheinlich nicht). Abgesehen davon, dass mir in diesem speziellen Fall schien, das Kind sei abgestellt und beschäftigt, damit Papi in die Kneipe kann (Mami hat das Kind später geholt), war das ein extrem irritierendes Bild. So als hätte man einen Erwachsenen auf Babyformat geschrumpft (der Schnuller!!!! wäre wenigstens der Schnuller nicht gewesen!). Oder als handelte es sich um eine Collage aus zwei nicht zusammengehörenden Welten. Gab es nicht einmal eine Werbung, in der bekannte Gesichter „verkleinkindet“ wurden?
Bekanntlich ist Kindheit ein Konzept, das recht jung und an einen gewissen Wohlstand gebunden ist. Wie es aussieht, geht die Bewegung in den hiesigen Breitengraden gerade wieder in die andere Richtung. Mit zwei das Smartphone, mit drei Chinesisch, mit vier autogenes Training, und spätestens mit sechs fit für den Arbeitsmarkt!

Freitag, 13. März 2015

Lyrikleseprognosen




Ich freue ich sehr, dass der diesjährige Preis der Leipziger Buchmesse an Jan Wagner geht und gratuliere! … Aber ein wenig skeptisch bin ich dann doch ob der enthusiastischen Lyrikleseprognosen. All die wichtigen Leute, die jetzt sagen, sie freuten sich, dass nun endlich Lyrik zum Zug käme, klingen so, als meinten sie die anderen, als nähmen sie sich selbst davon aus, zukünftig mehr Lyrik zu lesen. Und ich frage mich, wer von all den wichtigen Leuten Lyrik liest, schon vor gestern Lyrik gelesen hat, wer von ihnen sich, bevor sie vor die Kamera oder das Mikro traten, je Gedanken darüber gemacht hat, wie es um die Lyrik auf dem Buchmarkt steht. Mir kommt es vor, als schauten sie kopfschüttelnd über einen Zaun, über den sie vorher nie geschaut haben und hinter dem sie üble, bedauernswerte Zustände erblicken, und dann schauen sie zum Horizont, wo sie ein amorphe Masse zukünftiger Lyrikleser vermuten, nicken zuversichtlich und verlassen den Ort des Geschehens …