Warum sprechen Politiker, wenn es um Muslime geht, fast
schon reflexartig davon, dass diese „unsere“ Werte zu respektieren hätten, und
dazu gehöre, wie vorgestern in der Tagesschau „unser“ Innenminister De Maizière klarstellen musste,
eben auch, die Würde des Menschen zu respektieren. Das ist, mit Verlaub, Brandstiftung
und verleitet zu einfachen Gleichungen. Signalisieren tun diese Politiker
damit, Muslime seien besonders gefährdet,
den Boden der Verfassung zu verlassen. Ah, stimmt, im Gegensatz dazu zeichnen sich Leute, die Flüchtlingsheime in Brand
stecken oder gegen solche in ihrer Nachbarschaft demonstrieren, durch einen tiefen Respekt der Menschenwürde aus … (Und ich glaube kaum, dass man unter ihnen ausgeprochen viele Muslime zählen kann ...)
Sonntag, 14. Dezember 2014
Sonntag, 9. November 2014
Nach dem Streik ist vor dem Streik
Nun, da der Lokführer-Streik vorbei ist, fahren weniger Züge als
während des Streikes. Meine Ersatz-Zugverbindung jedenfalls war bisher nicht mit einem roten
Warndreieck versehen, jetzt heißt es, mein Zug werde wegen Bauarbeiten
Verspätung haben. Die Bahn braucht bekanntlich keinen Streik für Verspätungen
und Zugausfälle, das weiß man spätestens seit dem Winter 2010, als wegen Schnee und
mangelnder Wartung das Bahnsystem zusammenbrach, und man mitten auf der Reise
gebeten wurde, sich doch bitte bei den Fahrgästen der anderen Zughälfte auf den
Schoß zu setzen; die Zughälfte, in der man gerade säße, würde für wiederum andere
Fahrgäste auf anderen Strecken, deren Zug liegengeblieben war, benötigt. Wie
viele Beziehungen wohl damals entstanden und zerbrochen sind?
Aber Spaß beiseite. Pünktlich zur Mauerfallfeier und somit
zur Feier des Alleinherrschaftsanspruchs des Kapitalismus durften wir erleben,
wie am Streikrecht verbal gesägt wird: Weselsky, der machthungrige etc., aber
wenn die Bahn einen legalen Streik vor Gericht anficht und sogar noch in Berufung
geht, ist das natürlich kein Machtspielchen. Nein, das geschieht im Namen der
Kunden. Seit wann tut die Bahn etwas für ihre Kunden? Damit keine
Missverständnisse aufkommen: 1) Ich bin regelmäßige und leidenschaftliche
Bahnfahrerin. 2) Ich war vom Streik betroffen, sogar doppelt: mein lang
ersehnter, 6-jähriger Besucher konnte nicht anreisen, und ich selbst habe heute
noch eine lange Strecke vor mir (oben genannter Zug, der wegen Bauarbeiten
Verspätung haben wird). 3) Ich bin sehr froh, dass die Mauer gefallen ist. Schon allein deshalb, weil ich sonst E. nicht kennengelernt hätte.
Aber ich bin den zwei Gerichten, die den Streik für legitim
erklärten, zutiefst dankbar. Sie erteilen der Stimmungsmache der letzten Tage, Streik
zu einer Frage der („volks-“) gefühlten Legitimität zu erklären, eine klare
Absage! Streik ist und bleibt ein demokratisches Grundrecht! Neulich las ich, Ronald Reagan habe 1981, kurz
nach Amtsantritt, einen Fluglotsenstreik kurzerhand für illegal erklärt und
11000 Fluglotsen entlassen und mit lebenslangem Wiedereinstellungsverbot
belegt. Ja, es ist so eine Sache mit der am heutigen Tage gefeierten Demokratie.
Wenn es um Gewinne geht, ist sie dann schon auch mal nicht ganz so erwünscht …
Samstag, 8. November 2014
Und hier gibt es Versschmuggel auf Englisch zu hören: scottishpoetrylibrary
"On our latest Scottish Poetry Library podcast we smuggle some verse. You'll hear Don Paterson, Anna Crowe, JO Morgan, Peter Mackay along with new German poems from Björn Kuhligk, Dagmara Kraus, Katharina Schultens, Odile Kennel, & Michael Donhauser. Thanks to Aurélie Maurin for inviting us along!", sagt Ryan Van Winkle.
"On our latest Scottish Poetry Library podcast we smuggle some verse. You'll hear Don Paterson, Anna Crowe, JO Morgan, Peter Mackay along with new German poems from Björn Kuhligk, Dagmara Kraus, Katharina Schultens, Odile Kennel, & Michael Donhauser. Thanks to Aurélie Maurin for inviting us along!", sagt Ryan Van Winkle.
Mittwoch, 22. Oktober 2014
Versschmuggel, Juni 2014. Danke, Anna Crowe, Katy Derbyshire, Juliane Henrich!
Montag, 13. Oktober 2014
Poesie im Zug
"Wir laden Sie ein, auf Reisen zu speisen und auf kurzen Strecken zu snacken"
(Durchsage zwecks Restaurantwerbung in einem ICE am 8.10.2014)
(Durchsage zwecks Restaurantwerbung in einem ICE am 8.10.2014)
Mittwoch, 1. Oktober 2014
Übersetzungsvariationen, schwedisch.
In Stockholm fand ich neben Kegelbananen, einem ledigen Lokal und einer Pustegasse auch ein Sushi Hiroshima, einen Süßigkeitenladen, der Gratisbomben feilbot, und eine Gammlerstadtinsel.
Mittwoch, 17. September 2014
Le carillon de Visby à midi
Einmal fährt ein Auto vorbei. Einmal verschwindet die Sonne. Einmal seilt sich eine Spinne von meiner Hand ab, da zucke ich dann doch zusammen. Aber jeden Mittag das Glockenspiel. Und morgens um acht und abends um acht ein anderes.
Freitag, 20. Juni 2014
Herr Gauck und das liebe Militär
Wenn der amtierende Bundespräsident den Mund aufmacht, erwarte
ich immer das Schlimmste. Und in fast allen Fällen trifft das Schlimmste auch ein.
Jetzt also befürwortet er mehr militärischen Einsatz Deutschlands in den so
genannten Krisenherden dieser Welt. Und es geht, soweit ich es mitbekomme,
nicht einmal ein Aufschrei der Entrüstung durch die Presse. In England, so
erzählte mir Anna C., werde gerade daran gearbeitet, die Werte, für die
Soldaten im Ersten Weltkrieg mit wehenden Fahnen starben, wieder hoffähig zu
machen: Nationalismus, Heldentum, Ehre. Rasmussen weist darauf hin, dass
Russland seine Truppenpräsenz an der Grenze zur Ukraine verstärke. Ehrlich
gesagt glaube in diesem Konflikt keiner Seite mehr. Rasmussen und die Nato würden
gerne mal wieder, so kommt es mir vor. Rasmussen ist sich auch nicht zu schade,
zu behaupten, bei den aktuellen Diskussionen um Fracking habe Russland seine
Hände im Spiel. Das kommt mir aus Kalten Kriegszeiten doch verdächtig bekannt
vor.
Von einem Bundespräsidenten erwarte ich, dass er IMMER die
politischen Mittel von den militärischen verteidigt. Für die Verteidigung der militärischen Mittel ist die Exekutive schon zuständig. Wenn sie nicht von einem Bundespräsidenten gebremst werden, von wem dann? Der Bundespräsident hat gewissermaßen eine symbolische Funktion, insofern wiegen seine Worte so viel wie ein Symbol. Es gab bekanntlich in der
Geschichte Augenblicke, wo das Eingreifen mit militärischen Mitteln nötig wurde:
Dem sind aber immer politische Fehlentscheidungen vorangegangen, falscher
Einsatz der falschen politischen Mittel. Es kann doch nicht sein, dass ein Bundespräsident schon von vorneherein für militärische Lösungen eine Lanze bricht! In seiner symbolischen Funktion erwarte ich, dass er, sagen wir, humanistische Ideen vertritt (so diffizil dieser Begriff auch sein mag). Dass er symbolisch reguliert. Und nicht ins Horn der Mächtigen bläst. Dass er also sagt: Wir dürfen überhaupt nicht an eine militärische Lösung denken, solange nicht alle politischen Mittel ausgereizt sind. Deutschland kämpfe für die
Menschenrechte, so Gauck. Wie wäre es denn dann, eine Vervielfachung der
Entwicklungshilfe zu fordern? Statt sie, wie im Haushalt 2013 geschehen, zu kürzen (ich habe versucht herauszufinden, wie viel Prozent die Entwicklunghilfe vom Gesamthaushalt ausmacht. Wahrscheinlich so verschwindend gering wenig, dass sich eine Erwähnung in den Statistiken nicht lohnt). Hier wäre dann doch noch etwas Marge,
was die friedlichen Mittel betrifft. Wie wäre es, an den eigenen Grenzen mit der
Einhaltung von Menschenrechten zu beginnen? Und deutsche Unternehmen dazu zu
bringen, dass sie auch in anderen Ländern Menschenrechte (Arbeit, Umwelt usw.)
respektieren? Rein zufällig war Gauck gerade von einem Norwegenbesuch
zurückgekehrt. Hat er dort Rasmussen getroffen?
Samstag, 14. Juni 2014
Schlupflochdemokratie
Camerons Argumentation, Juncker sei ja nicht direkt gewählt
worden und müsste deshalb nicht notwendigerweise EU-Kommissionpräsident werden, macht mir klar, WIE gefährdet
Demokratie in Europa ist. Und zwar von ihren (offensichtlich scheinbaren) Vertretern
selbst. Und ich muss annehmen, dass Europa die Probebühne für weitere Vorstöße dieser Art
auf nationaler Ebene darstellt. Nehmen wir doch mal die letzte Bundestagswahl
als Beispiel: Die CDU war bekanntlich mit Angela Merkel als Kanzlerkandidatin
angetreten und hatte zwar nicht die absolute, aber doch eine satte Mehrheit.
Und dann hätte sie es sich nach der Wahl anders überlegt und, sagen wir, Pofalla zum
Bundeskanzlerkandidat ernannt und ihn
den Abgeordneten zur Wahl gestellt. Alles wäre legal gewesen -- schließlich hat
niemand die Kanzlerkandidatin direkt gewählt -- aber was für ein politischer
Skandal! Wahlbetrug im großen Stile -- in minder großem Stile ist man ja schon daran
gewöhnt; ein paar (offensichtlich ebenso scheinbar) unverrückbare Konventionen gab es jedoch bisher noch. Es ist in der Wirtschaft schon lange so, dass ganze
Heerscharen von Anwälten darauf angesetzt werden, Steuerschlupflöcher zu finden
und gangbar zu machen. Wenn nun auch die Politiker
der bürgerlichen Parteien damit anfangen, nach legalen Mitteln zu
suchen, Demokratie auszuhöhlen, läuft das wohl auf eine Schlupflochdemokratie hinaus.
Politisches Vertrauen schaffen geht anders.
Samstag, 24. Mai 2014
Tipp: TTIP abwählen (Na ja. Man kann es zumindest versuchen)
Von Ttip hörte ich erstmals
im vergangenen Jahr. Als ich begann, mich damit zu beschäftigen, wurde mir die
Dimension des Abkommens klar, die weit über den in diesem Lande immer wieder
angeführten gefährdeten Umwelt- und Verbraucherschutz hinausgeht. Schaut über
den Biotellerrand hinaus, es geht um mehr! Und da morgen Europawahl ist, ist
das die Gelegenheit, sich noch einmal sehr genau anzuschauen, was welche Partei
zum Thema Ttip zu sagen hat.
Hinter
wohlverschlossenen Türen wird also, das ist immerhin bekannt, über eine
Freihandelszone zwischen der EU und den USA debattiert, dem Transatlantic Trade and Investement
Partnership (TTIP). Zu dieser „Partnerschaft“ würde, wenn sie Wirklichkeit
würde, ein unter Ausschluss der demokratischen Öffentlichkeit ausgehandeltes Investor-State-Dispute-Settlement (ISDS)
gehören, ein Abkommen, dass es Unternehmen erlaubt, Staaten vor einem quasi privaten,
keiner demokratischen Kontrolle unterworfenen Schiedsgericht zu verklagen, wenn
ihre Gesetzeslage erwartete Gewinne aus in diesen Staaten getätigten
Investitionen mindert oder verhindert. Der verklagte Staat kann dann zwischen der
Aufhebung der „Hemmnisse“ oder einem millionenschweren Schadensersatz wählen. Werden
nun die „Hemmnisse“ aufgehoben, könnte die von den G20-Staaten unterzeichnete standstill-Klausel in Kraft treten, die
besagt, dass der aktuelle Stand des Freihandels nicht wieder unterschritten
werden darf. Anders gesagt: Würden zum Beispiel bestimmte Arbeitsschutzgesetze
ausgehebelt, weil sie sich gewinnmindernd für das klagenden Unternehmen auswirken,
dürften sie später, Arbeitskampf hin oder her, nicht wieder eingeführt werden.
Wenn das, was hinter
hermetisch abgeschlossenen Türen verhandelt wird, Erfolg hat im Sinne der
Verhandler, so hat das für Europa viel weitreichendere Konsequenzen als die
immer wieder an erster Stelle genannte Chlorhühncheninvasion aus den USA: Es
bedeutet, dass zukünftig alle politischen Aktivitäten und demokratisch
möglichen Strukturen – angefangen beim persönlichen politischen Engagement über
NGOs, Gewerkschaften, Gesetze, nationale Verfassungen - obsolet sind.
Arbeitsrecht, Sozialgesetzgebung, Buchpreisbindung, Mietrecht, Umweltschutz,
Verbraucherschutz u.v.m. werden der Prämisse des privaten Gewinns vertraglich
unterworfen, Staaten geplündert. Das ist nur konsequent im Sinne des
neoliberalen Privatisierungsmantra: Nachdem schon private Unternehmen in Form
von Ratingagenturen über das Wohl und Wehe von Staaten entscheiden, wird nun auch
die Judikative in private Hände gegeben.
Schiedsgerichte, die
Unternehmen vor dem Zugriff von Staaten schützen soll, sind nichts Neues,
sondern wurden Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt. Der Rückgriff auf eine
solche Struktur ist in einer immer besser vernetzten Welt allerdings zunehmend
interessant geworden, und so haben diese „Verfahren“ in den letzten 10 Jahren
rasant zugenommen. Deutschland zum Beispiel wird gerade von Vattenfall vor dem
ICSIB verklagt (International Centre for Settlement an Investment Disputes), weil
der Atomausstieg nun doch schneller kam als angekündigt. Deutschland wiederum
hat den entsprechenden Vertrag unterschrieben, um seinen Unternehmen genau
solche Klagen in anderen Ländern zu ermöglichen, in erster Linie in Ländern der
so genannten dritten Welt; es überrascht nicht, dass westliche
industrialisierte Länder weitaus seltener vors Schiedsgericht gezerrt werden.
Es gibt immer mehr
Organisationen, die das geplante Freihandelsabkommen kritisieren. Zunächst geht
es darum, den Inhalt des Abkommens im Detail überhaupt erst einmal öffentlich
zu machen und die Abgeordneten der Parlamente an ihre Aufgabe zu erinnern, sich
zu informieren, bevor sie abstimmen. Denn bevor das TTIP unterzeichnet wird,
werden - der Form halber - die nationalen Parlamente noch einmal befragt. Nur
dumm, dass die derzeitige Opposition mit ihren unter 25% nicht einmal
Untersuchungsausschüsse einfordern oder Verfassungsklagen in die Gänge bringen
kann. Aber: wer weiß. Es kann sich lohnen, die „eigenen“ Abgeordneten
anzuschreiben oder sich gegen das TTIP zu engagieren. Denn warum lassen sich
souveräne Staaten freiwillig auf diese „public private partnership“ der ganz
großen Art ein, die sie am Ende ihrer Souveränität beraubt, wenn nicht deshalb,
weil sie eben zwar strukturell souverän, personell jedoch ganz und gar nicht
unabhängig sind (vgl. Lobbyarbeit, Korruption). Dagegen hilft (vielleicht)
Information und Öffentlichkeit. Die Frage wäre aber auch: Wer zwingt einen
Staat dazu, sich dem Schiedsgericht zu unterwerfen, auch wenn er den Vertrag
unterzeichnet hat? Die ewige Standortkeule? Wenn es keine Instanz gibt, die
einen solchen Vertrag als sittenwidrig erklären könnte, so gibt es auch keine
exekutivähnliche Instanz, die die Einhaltung des Vertrages erzwingen kann. Es
sei denn, Frontex würde mit zusätzlichen Aufgaben betraut. Oder die Mafia.
Informationen zum
Thema finden sich hier:
Der Vollständigkeit
halber unter diesem Link, was die Europäische Kommission zum TTIP „in der
Nussschale“ zu berichten weiß:
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