Nun, da der Lokführer-Streik vorbei ist, fahren weniger Züge als
während des Streikes. Meine Ersatz-Zugverbindung jedenfalls war bisher nicht mit einem roten
Warndreieck versehen, jetzt heißt es, mein Zug werde wegen Bauarbeiten
Verspätung haben. Die Bahn braucht bekanntlich keinen Streik für Verspätungen
und Zugausfälle, das weiß man spätestens seit dem Winter 2010, als wegen Schnee und
mangelnder Wartung das Bahnsystem zusammenbrach, und man mitten auf der Reise
gebeten wurde, sich doch bitte bei den Fahrgästen der anderen Zughälfte auf den
Schoß zu setzen; die Zughälfte, in der man gerade säße, würde für wiederum andere
Fahrgäste auf anderen Strecken, deren Zug liegengeblieben war, benötigt. Wie
viele Beziehungen wohl damals entstanden und zerbrochen sind?
Aber Spaß beiseite. Pünktlich zur Mauerfallfeier und somit
zur Feier des Alleinherrschaftsanspruchs des Kapitalismus durften wir erleben,
wie am Streikrecht verbal gesägt wird: Weselsky, der machthungrige etc., aber
wenn die Bahn einen legalen Streik vor Gericht anficht und sogar noch in Berufung
geht, ist das natürlich kein Machtspielchen. Nein, das geschieht im Namen der
Kunden. Seit wann tut die Bahn etwas für ihre Kunden? Damit keine
Missverständnisse aufkommen: 1) Ich bin regelmäßige und leidenschaftliche
Bahnfahrerin. 2) Ich war vom Streik betroffen, sogar doppelt: mein lang
ersehnter, 6-jähriger Besucher konnte nicht anreisen, und ich selbst habe heute
noch eine lange Strecke vor mir (oben genannter Zug, der wegen Bauarbeiten
Verspätung haben wird). 3) Ich bin sehr froh, dass die Mauer gefallen ist. Schon allein deshalb, weil ich sonst E. nicht kennengelernt hätte.
Aber ich bin den zwei Gerichten, die den Streik für legitim
erklärten, zutiefst dankbar. Sie erteilen der Stimmungsmache der letzten Tage, Streik
zu einer Frage der („volks-“) gefühlten Legitimität zu erklären, eine klare
Absage! Streik ist und bleibt ein demokratisches Grundrecht! Neulich las ich, Ronald Reagan habe 1981, kurz
nach Amtsantritt, einen Fluglotsenstreik kurzerhand für illegal erklärt und
11000 Fluglotsen entlassen und mit lebenslangem Wiedereinstellungsverbot
belegt. Ja, es ist so eine Sache mit der am heutigen Tage gefeierten Demokratie.
Wenn es um Gewinne geht, ist sie dann schon auch mal nicht ganz so erwünscht …
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