Es gibt im Berlinerischen eine grammatikalische Konstruktion, die ich „Berliner erweiterter
Infinitiv mit zu“ nenne: Statt zu
sagen „ich hab da noch ein Buch auf dem Nachtisch liegen“, sagt man, „ich hab
da noch ein Buch auf dem Nachttisch zu
liegen“. Die Erweiterung betrifft Verben, die einen Zustand beschreiben: liegen,
sitzen, stehen, kleben, hängen … Neulich erwischte ich mich dabei, wie ich
sagte: „Villicht hosch ja noch so ebbes im Keller zu stehe“. Badisches Berlinerisch oder Berliner Badisch?
Ich bin mit drei Sprachen aufgewachsen, mit Französisch, süddeutschem
Hochdeutsch und Badisch. In meinem Berliner Alltag spreche ich ein süddeutsch grundiertes Hochdeutsch mit deutlichen
Berliner Einschlägen; „süddeutsch grundiert“ meint in meinem Fall, ich bestehe
darauf, Brille und Hut, Uhr und Schal wie einen Mantel anzuziehen, und nicht,
wie meine (Urberliner) Freundin
aufzusetzen und umzubinden. Zu saurem Sprudel Mineralwasser zu sagen, widerstrebt
mir immer noch, ich binde mir die Schuhbändel und nicht die Schnürsenkel und
habe lange gebraucht, um zur Mücke Fliege und zur Schnake Mücke zu sagen. Seit
ich hier bin, hat meine Sprache wieder einen merklich badischen Singsang
angenommen. Spreche ich mit Berlinern,
wechsle ich wieder zu meinem Berliner Alltagsdeutsch. Das erinnert mich
an meine Kindheit, wo ich in der Lage war, mehrmals in einem Satz von Badisch
zu Hochdeutsch „umzuschalten“, wenn ich
mich abwechselnd an meinen Vater und an eine Freundin wandte. Meine Schwester, die in Rheinland-Pfalz lebt,
hat vor vielen Jahren ein badisches Wörterbuch angelegt, damit bestimmte
Wörter, die man außerhalb des Badischen nie verwendet, nicht in persönliche Vergessenheit
geraten. Das Wörterbuch ist seither von uns beiden ergänzt worden und hat mir
schon gute Dienste geleistet, zum Beispiel, als ich einige Gedichte des
brasilianischen Dichters Douglas Diegues, der in einer portugiesisch-spanischen
Mischsprache schreibt, ins Badisch-Hochdeutsche übertrug. Hier ein kleines
Beispiel: Viecher die Profit
abwerfen/Viecher wo keiner ebbes davon hett/Viecher die Blüten bekommen/Viecher
wo net blühe//Viecher wo ondre Viecher uffresse/Viecher die hochvornehm sind
oder tierisch/Viecher aus Mist und Mysterium/Viecher uffm Acker und vun dert
obbe//Viecher die erotisch sind oder paranoid/Viecher wo ma halt kennt oder wo
exotisch sinn/Viecher die Milch geben/Viecher die gibt's gar net//kennt fascht
ein Stück von sellem berühmten Ionesco sein/Viecher dass kein Viech ebbes zum Bruddle
hett. „Bruddle“ –
was für ein lautmalerisches Wort! Man hat sogleich eine schlecht gelaunte, vor
sich hinschimpfende Person vor Augen. Weitere Lieblingswörter, die, höre ich
sie nach langer Zeit erstmals wieder, mich entzücken, sind: wunderfitzig,
lätzrum, bollig, bimmle, bressiere, lupfe, lange, stupfelig, schnipfle, nuffzus,
Spinnehuddle. Abber verstehn mi bitte net falsch: Berlinerisch, ick liebe dir,
nur könnte es sein, dass ich nach drei Monaten Hausach zurückkehre und etwas sage
wie: Na, dit war ja wieda een wunderfitziger Fatzke, und dann hat der die janze
Zeit jebruddelt, weil’s ihm pressiert hat … Irjendwie ham die Schuhbändel nich
jepasst, warn uust bollig, da haick de Füße in de Schuhe nich mehr jelupft
jekriegt … Sind wa ehmt barfuß nuffzus jeloofen uf det stupfelige Gras, dit
hatten se wohl nich jeschnipfelt, und am Ende, saick ma, hatten wa allet mit Spinnhuddeln
vollzuhängen … (Erschienen am 7.3.2013 im Offenburger Tagblatt)
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