Auf der Lesung am vergangenen
Samstagabend im Rahmen der Veranstaltung fernsprechende
in der Lettrétage fragte der Moderator Jörg
Sundermeier Maria Cecilia Barbetta, Artur Becker und Yulia Marfutova: Würdet
ihr gern als deutsche Schriftsteller bezeichnet werden?
Kluge Frage, kluge Antwort der
Befragten: Wir verstehen uns als Schriftsteller deutscher Sprache.
Denn darum geht es: um die
Sprache, in der man seine Texte verfasst, als kleinstem (großen) gemeinsamen
Nenner. Einen anderen gibt es nicht. Es geht natürlich auch um Form, um Inhalt,
beides bekanntlich nicht von Sprache zu trennen, so wenig wie Biographie von
Sprache, Form, Inhalt zu trennen ist. Ein Begriff wie „Migrantenliteratur“
suggeriert jedoch, es gäbe an und in den darunter gefassten Texten etwas, das
sie nicht nur von anderen unterschiede, sondern auch untereinander unverkennbar
verbände. Gibt es einen gemeinsamen Nenner außer der Verwendung der deutschen Sprache
bei der Literatur von Deutschdeutschen?
Die beschworene Gemeinsamkeit
bezieht sich auf gesellschaftliche Aspekte, die zunächst einmal außerhalb der Literatur
liegen. Schnell landet man bei Kategorien wie Frauen-, Lesben-, Schwulen-,
Transgender-, Anders-Befähigten-, Neue Bundesländer-, jüdische Literatur,
Kategorien, die sich mit einfachen Fragen ad absurdum führen lassen: „Wenn ich als Lesbe über jemand heterosexuelles schreibe, ist
das dann noch Lesbenliteratur?“ „Wenn ich als jüdischer Schwuler schreibe, ist
das dann jüdische Literatur oder Schwulenliteratur?“
Welche Kriterien müssen für das
„Label“ Migrantenliteratur erfüllt sein? Muss man außerhalb von Deutschland
geboren sein? Gibt es ein Mindestalter, in dem man frühestens die deutsche Sprache erworben haben darf? Spielt es eine
Rolle, ob man seine Muttersprache überhaupt mehr als radebrechend spricht? Ob
der Vater Ausländer ist oder die Mutter, oder beide? Und, Deutschland ist nicht
gleich Deutschland, ob man aus Ost- oder Westdeutschland kommt? Was ist mit
einer eingewanderten Österreicherin, einem eingewanderten Schweizer deutscher
Sprache?
Schreibe ich Migrantenliteratur? Meine
erste Muttersprache ist nicht deutsch, ich habe auf Französisch sprechen und
lesen gelernt; ich bin mit und zwischen zwei Kulturen und Sprachen aufgewachsen,
und das spielt in meinen Texten oft eine Rolle; meine Mutter ist Ausländerin
(und ging in der brd der 60er Jahre ausschließlich in den damals noch seltenen
Supermärkten einkaufen, nur um nicht sprechen zu müssen und als Ausländerin
aufzufallen). Ja, mir ist manches in diesem Land fremd (wie anderen auch, wie
an anderen Ländern auch), ich fühle mich manchmal fremd – aber ich bin in
Deutschland zu Schule gegangen, bin auf den ersten Blick nicht zu unterscheiden
von Deutschdeutschen, komme aus einem bücher-, vorlese-, lesebegeisterten Haushalt,
mit anderen Worten: Ich hatte alle Privilegien, die mir ein gute Bildung
ermöglichten. Was gern als kultureller Unterschied beschworen wird, ist meist
eine Frage der Privilegien (die man auch „Zugang zu Menschenrechten“ nennen
könnte, nur dass diese eben nicht für alle gelten). Jemand aus einem „bildungsfernen“ deutschdeutschen Haushalt (Bildung als ferne Insel) wird
es schwerer haben, Schriftsteller deutscher Sprache zu werden, als jemand mit
aus deutscher Sicht „ausländischen“ Eltern aus einem literaturbegeisterten
Haushalt.
Dies steht neben der Tatsache,
dass es im alltäglichen Leben sehr wohl einen Unterschied macht, ob ich einen
deutschen Pass besitze oder nicht, ob mein Aussehen dem Bild entspricht, das in
dieser Gesellschaft als „deutsch“ betrachtet wird, und ja, man traut in diesem
Land Nicht-Muttersprachlern nicht wirklich zu, einen „ordentlichen“ deutschen
Text zu verfassen … Mit anderen Worten, diese Gesellschaft (sagen wir: die
Welt) ist eine hierarchische, und das tückische an „Labeln“ (gern auch
„Identität“ genannt) ist ja, dass sie einerseits Bewusstsein für diese
Hierarchien schaffen wollen und können, dass sie sie aber zugleich zementieren.
Wie wäre es, wenn Kritiker die zu
besprechenden Texte ohne Namen, Photo oder biographische Daten bzgl. Herkunft,
Muttersprache, Geschlecht (u.a.) erhielten? Und einfach nur schrieben:
Schriftsteller deutscher Sprache? Schriftstellende deutscher Sprache? (Aber
dies ist wiederum eine andere Diskussion …) Stellen der Schrift in deutscher
Sprache nach?
http://www.lettretage.de/fernsprechende.pdf
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