Die Eliten sind also Schuld an der Misere.
So einfach ist das. Wer aber soll das genau sein? Die politischen
Entscheidungsträger? Journalisten? Linke Akademiker (nie die rechten)? Ist eine
arbeitslose, taxifahrende, linkspolitisch aktive, bloggende Akademikerin die
Elite? Oder eher die Erbmillionärin? Was wäre mit einer Verlegerin, die aus
einem „bildungsfernen“ Milieu stammt? Es gibt keine monolithische Gruppe der
„Eliten“, dem ein „entrechtetes Volk“ gegenüberstünde. Genau, denn wer „Eliten“
sagt, sagt auch „Volk“. Und bedient sich also munter im rechtspopulistischen
Setzbaukasten.
Geht es bei diesem Elitendiskurs vielleicht darum,
nicht aussprechen zu müssen, was offensichtlich ist: Dass der Erfolg rechter
und rechtspopulistischer Ideen eng mit dem aktuellen, neoliberalen
Wirtschaftssystem zu tun hat? Mit Gesellschaften, in denen Marktlogik längst politische
Visionen ersetzt hat, und noch jeder gesellschaftliche Bereich, bald schon jede
Geste auf Rentabilität (für wenige) reduziert wird? In der jeglicher Versuch,
sich dagegen zu wehren als unrealistisch und spinnert abgetan wird?
Ich will nicht sagen, dass es einfache Antworten
gibt. „Der“ Neoliberalismus ist genau so wenig allein „Schuld“ wie angeblich
monolithische „Eliten“. Aber man kann nicht so tun, als hätte das eine mit dem
anderen nichts oder nur zufällig zu tun. Sicher ist jedenfalls, dass Kategorien wie „Ökonomie“ und „Wirtschaftssystem“ auffällig abwesend sind, wenn
darum geht, Erklärungen für aktuelle Entwicklungen zu suchen.
Das liegt zum einen natürlich daran, dass das
neoliberale Credo im Großen und Ganzen nach wie vor unangetastet bleibt bzw.
mit Händen, Füßen und viel Lobbyismus verteidigt wird.
Das liegt aber vielleicht auch daran, dass das
Herzstück des linken Diskurses ab den 90er Jahren von den Linken (zu denen ich
mich zähle) selbst fallen gelassen wurde: Zum einen war es schwierig geworden, in
einer Welt über Ökonomie zu sprechen, in der gerade der Kapitalismus gesiegt
hatte (und sich linke Systeme nicht gerade durch menschenrechtliche
Höchstleistungen ausgezeichnet hatten); zum einen gab es neue Kämpfe zu kämpfen:
um die rechtliche Gleichstellung unterschiedlichster Gruppen, die in linken
Diskursen bisher „Nebenwidersprüche“ gewesen waren oder gar nicht erst
auftauchten: Frauen, Schwarze, Andersbefähigte, Lesben, Schwule, Transsexuelle
usw. usw. (all diese Begriffe verstehe ich
als politische Kategorien, als Kampfbegriffe). Und das war und ist gut so, es gibt immer noch viel zu tun und schon wieder viel zu verteidigen!
Nur dass also die ökonomische Definitionsmacht ab spätestens
Ende der 90er solchen Organisationen wie der INSM oblag (hier meine Meinung dazu; das soll schon 11 Jahre her sein?), die mit ihren selbsternannten Experten aufgebrochen
waren, die Gesellschaft in ihrem Sinne umzudeuten und das neoliberale Mantra
hoch und runter beteten, bis (fast) alle es geschluckt hatten: Privatisierung,
Marktliberalisierung (außer, wenn es um Verluste geht), Abbau des
Sozialstaates, Alternativlosigkeit etc. etc. etc. Als ob es nicht immer Alternativen gäbe!
Linke Kritik daran hat es immer gegeben, ist aber
zunehmend untergegangen in der Vervielfältigung der Stimmen oder angesichts
einer gefühlt komplexer gewordenen Post-Kalter-Krieg-Welt, deren neue
geographische Linien, technologische Entwicklungen, politische Verwerfungen
sich so rasend schnell entwickeln, dass man mit dem Denken kaum hinterher kommt
… Oder weil man im Konsumentenalltag selbst davon profitierte? Weil
Kapitalismuskritik schnell ins verschwörungstheoretische, antisemitische
Fahrwasser gerät? Weil die Kämpfe für Gleichstellung und gegen
Diskriminierung so erfolgreich waren und rechtliche und gesellschaftliche
Umwälzungen zur Folge hatte, von denen man nicht zu träumen gewagt hatte? Wahrscheinlich (mindestens) all das zusammen.
Inzwischen kommt es mir so vor, als seien
Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsgesetze eine Art Zugeständnis gewesen
(eines, das nicht viel kostet, sondern im Gegenteil neue Konsumentengruppen
bringt), in dessen Windschatten der Abbau des (kostenintensiven) Sozialstaats betrieben und Steuer- und Wirtschaftsgesetze so verändert oder erlassen wurden, dass die
Schere zwischen Arm und Reich zumindest in Deutschland inzwischen so weit auseinanderdriftet
ist wie nie zuvor nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine egalitäre Gesellschaft muss
aber auch ökonomisch egalitär sein, sonst ist sie nicht egalitär. Auch das
Recht auf Wohnen und Arbeit und ärztliche Versorgung muss in der heutigen Welt
ein Menschenrecht sein (und ist es nur für wenige in einem kleinen Teil der Welt).
Hier kommt das Gefühl des Abgehängtseins ins
Spiel, das also durchaus den Fakten entspricht. Auf dem das (postfaktische)
Gefühl aufbaut, die Gesetzgebungen der letzten Jahre hätten allein „Minderheiten“
gegolten. Die demnach als Profiteure des Systems angesehen werden. Dass da ein
bisschen etwas nachzuholen ist, dass 20 Jahre dieser Entwicklung hier mehreren 1000
Jahren gegenüberstehen, in denen es anders war – geschenkt (abgesehen davon,
dass Rassismus und Hass und Beleidigtsein noch ganz andere historische,
psychologische usw. Wurzeln hat).
Trotzdem: Es gibt hier einen Widerspruch, der nicht so
ohne weiteres aufzulösen ist.
Entsolidarisierung (Hartz IV-Bashing!), „Bildungsmisere“,
Kürzung der Sozialausgaben (und somit der Gelder für soziale Projekte,
Stadtteilarbeit, Frauenhäuser, Aussteigerprojekte usw.); überteuerte Mieten,
aberwitzige Immobilienpreise, prekäre Arbeitsverhältnisse, Drittmittelforschung;
überhaupt die Tatsache, dass gesellschaftswissenschaftliche Fächer (die
gesellschaftliche Entwicklungen begleiten, analysieren, Ideen in die Welt
setzen sollen) an den Universitäten finanziell
ins Abseits gedrängt werden; eine Steuer- und Wirtschaftspolitik mit inhärenter
Selbstentmachtung der Staaten (angefangen bei der konditionslosen Bankenrettung
und kulminierend in den berühmtberüchtigten Schiedsgerichten) ---
Es gibt viele Gründe, sich den Diskurs über Ökonomie
zurückzuholen. Über Ökonomie und Staat in einer globalisierten Welt, in der
Grenzen zwar für Menschen nach wie vor (und wieder vermehrt) gelten, jedoch
immer weniger für Güter. Was für Kontrollmechanismen muss es geben, kann es
geben, wie können wir egalitäre Gesellschaften schaffen, die nicht national definiert
und begrenzt sind? Welche Rolle spielen Zivilgesellschaft und Rechtsstaat? Viele viele Fragen. Und letzten Endes auch die, ob Demokratie mit dem real existierenden Kapitalismus überhaupt vereinbar ist. Ich zweifle mehr denn je daran ...
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