Besonders fußgängerfreundlich ist diese Bibliothek nicht. Bei
meinem ersten Besuch bleibe ich am Bahnhof hängen, suche wie ein Karnickel den
Ausgang, um auf den Weg zu gelangen, der, so wurde mir gesagt, am Bahnhof
entlang zur neuen Stadtbibliothek führt. Irgendwann halte ich mich stur an die
Richtung, in der die Bibliothek liegt, folge Schildern in Richtung S-Bahn in
den Untergrund, biege im Tunnel links ab, folge dem Hinweis „Parkhaus“ die
Rolltreppe hoch und gelange, wie sich herausstellt, auf den richtigen Weg.
Später entdecke ich Schlupflöcher von Gleis eins aus auf diesen Weg, man müsste
schon nach Hogwarts wollen, um sie ohne Vorwissen zu finden, nicht ein einziger
Hinweis „zur Stadtbibliothek“ auf diesem Bahnhof (ich könnte natürlich der vierspurigen
Straße folgen, die in die Nähe der Bibliothek führt, oder die U-Bahn nehmen). Der
Weg am Bahnhof entlang ist so etwas wie ein Fegefeuer der Un-Architektur: himmelhohe
schwarzglänzende Bürogebäude rechts und links eines schmalen Pfades, der ab und
zu, grün muss sein, von Pflanzen, die so viel Lebendigkeit ausstrahlen wie die
Bürogebäude selbst, gesäumt ist, und auf einem Vordach stilisierte
Herbstblätter in 3D. Als Fußgänger versinkt man ins düstere Nichts, wird zu einer
der kleinen Gestalten auf der Computeranimation des Gebäudes. Das ist für mich Un-Architektur:
Wenn das Gebäude den Schritt hinaus in die Welt nicht geschafft hat und ich
mich eher als Teil einer Computeranimation denn als Teil der Welt fühle … Dann
noch vorbei an Paris imitierenden Townhouses, an einem 0815-Sparkassengebäude:
Ich stehe vor der neuen Stadtbibliothek, die mein Blick, wenn ich mit dem Zug
in die Stadt einfahre, immer zuerst sucht, und er kann sich nicht sattsehen,
vor allem nachts, an diesem blau leuchtenden Kubus …
Entworfen wurde sie durch den südkoreanischen Architekten Eun Young Yi, und sie entschädigt mich für alle Mühen des Suchens, für das Fegefeuer
der Un-Architektur: Ich betrete einen Tempel der Bücher. Architektur ist für
mich, wenn mein Körper verweilen will, wenn alle meine Sinne mehr davon möchten
… Und wenn es sich dabei noch um eine öffentliche Bibliothek handelt, vor deren
geschätzten 20 m2 Lyrikregal ich staunend stehe; deren fünfte, mit „Welt“
übertitelte Etage mir Rettung verheißt, sollte ich einmal den Zugang zur Welt
verlieren; die Raum bietet für die unterschiedlichsten Leute und Aktivitäten
inklusive Erfrischung für Menschen, die auf öffentliche Bäder angewiesen sind ... Ja, hier bin ich Mensch … usw.
Leider wird es, so fürchte ich, bald vorbei sein mit dem
Blick auf die Bibliothek aus dem Zug oder von sonstwo her: Die Baustellen rund um die
Bibliothek rücken ihr schon bedenklich auf den Pelz. Architektur lebt auch von
den Blicken der Betrachter, was, bitte sehr, nützt es, einen tollen Architekten
zu engagieren und dann rundum alles mit 0815 zu bebauen? Das erinnert mich an
den Berliner Hauptbahnhof … die elegante Glasschlange, die mit hässlichen
Funktionstürmen ausgestattet wurde und nun gänzlich zugebaut wird: Keine Sicht mehr
von außen, keine Sicht mehr von innen. Ja, Kunst kostet Geld, man kann sie
nicht haben, und trotzdem sparen wollen. Und wenn ich schon dabei bin, spreche
ich hier von meinen derzeitigen Lieblingsgegenbeispiel, dem umgebauten Straßburger
Bahnhof (Johann Eduard Jacobsthal für das 19.Jh/ Jean-Marie Duthilleul fürs 21. Jh): Wie ein gestrandeter Wal aus Glas liegt er da, spiegelt die Gebäude
rund um den Platz, lässt aber auch die inneren Gebäude durchschimmern wie durch
Transparentpapier: Und er darf atmen, der Bahnhof, darf sich den Blicken
hingeben …
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