Mittwoch, 3. Mai 2017

Das Leiden an Thomas de Maizière



Um es vorweg zu nehmen: Ich bemühe mich. Seit neustem begrüße ich meine Freund*innen nur noch mit Handschlag. Auch meine französische Mutter und sogar Eva, meine Angetraute, bemühen sich. Handschläge. Überall nur noch Handschläge. Und meinen Namen sage ich auch jedes Mal. Melde gehorsamst: Kennel.

Es ist doch interessant, dass ein Innenminster, der mit Konzepten wie „demokratischer Rechtsstaat“ und „Verfassungspatriotismus“ nur so um sich wirft, sich öffentlich zu dem äußert, was uns angeblich "im Innersten zusammenhält". Ja, wenn man das so genau wüsste, hätte es Faust gar nicht gegeben! Und auch nicht Freud (bzw. seine Arbeiten). Aber ich werde polemisch. Das ganze Leben besteht zweifelsohne aus ungeschriebenen Regeln. Aber die sind nun mal nicht Sache des Innenministers. Seine Sache sind die Gesetze. Das Vermummungsverbot auf Demonstrationen zum Beispiel, das er mitten in einen Satz über die ungeschriebenen Regeln einflicht, das ist seine Sache. Aber darüber scheint er auch nicht so gut informiert, denn das richtete sich originär gegen linke Demonstranten, da war doch mal was, erinnern Sie sich, Herr Minister? Mit einem moralischen „Gesicht zeigen“ hatte das nichts, aber auch gar nichts zu tun! Herr Minister, etwas mehr logische Stringenz, bitte!

Sehen wir doch mal, was sich da noch so ansammelt im Sammelsurium der privaten Meinung unseres Innenministers: Allgemeinbildung als Wert. Ah. Das ist wirklich etwas ausschließlich Deutsches. Der Rest der Welt hat es nicht so mit der Allgemeinbildung. Am deutschen Wesen … genesen, eben. Und ich lache mich tot, angesichts der Bildungsmisere in Deutschland, die Opfer der schwarzen Null eines anderen Ministers ist. Was zählt, in Deutschland, Herr de Maizière, ist die schwarze Null! Eine Höchstleistung! Auf die man stolz sein soll, sonst gehört man nicht dazu.

Dafür, dass Herr de Maizière sich „zu den tiefsten Tiefen unserer Geschichte“ bekennt (etwas weniger Kitsch, bitte, Herr Minister, oder gehört Kitsch zur deutschen Leitkultur?), benennt er die tiefsten Tiefen aber nicht besonders präzise. Könnte es sein, dass er Nationalsozialismus und Massenmord doch ein bisschen relativieren möchte? Nicht so klar sagen möchte, dass er eigentlich NS und DDR irgendwie doch ähnlich schlimm findet?

Weiter im Programm, und da „genest“ es wieder mächtig: „Kaum ein Land ist so geprägt von Kultur und Philosophie wie Deutschland.“ Ist irgendein Land bitte sehr nicht von seiner Kultur und Philosophie geprägt? Warum ausgerechnet Deutschland? Überheblichkeit als deutsche Leitkultur, Herr Minister? „Jeder Landkreis ist stolz auf seine Musikschule.“ Ja, wenn sie nicht zusammengespart wurde und er noch eine hat.

„Unser Staat ist weltanschaulich neutral, aber den Kirchen und Religionsgemeinschaften freundlich zugewandt.“ Unser Staat sammelt für Kirchen Steuern ein. Ich wüsste nicht, dass das säkular wäre. Es gibt keine klare Trennung von Kirche und Staat in Deutschland. Und es gibt Atheisten, ein halbes Land voller Atheisten, die dieses Land ebenfalls prägen, nur zur Erinnerung, Herr Minister.

„Zum Mehrheitsprinzip gehört der Minderheitenschutz. Wir stören uns daran, dass da einiges ins Rutschen geraten ist. Für uns sind Respekt und Toleranz wichtig …“ Genau. Wie viele Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte hat es in den letzten Jahren gegeben? Sie zeugen von einer ungeheuren Toleranz im Lande. Um die geht es Herr De Maizière aber nicht, sondern um Ehrenmorde. Zur Erinnerung: Die Morde der NSU wurden u.a. als solche abgetan. 

„Ja, wir hatten Probleme mit unserem Patriotismus. Mal wurde er zum Nationalismus, mal trauten sich viele nicht, sich zu Deutschland zu bekennen. All das ist vorbei …“ Genau. Da hat Herr de Maizière bestimmt ein (deutsches, reines) Bierchen mit Herrn Höcke getrunken. Es ist vorbei, vorbei … werden sie dann geschunkelt haben (Das Schunkeln, Herr de Maizière, Sie haben das Schunkeln in der Leitkultur vergessen!).

„Wir sind vielleicht das europäischste Land in Europa - kein Land hat mehr Nachbarn als Deutschland.“ Wieder einmal eine unwiderlegbare Kausalkette. Es hört nicht auf mit den Superlativen. Deutschland ist (vielleicht) eben doch das tollste, größte, beste Land.

„Wir haben ein gemeinsames kollektives Gedächtnis für Orte und Erinnerungen ... Landsmannschaftliche Mentalitäten, die am Klang der Sprache jeder erkennt, gehören zu uns und prägen unser Land.“ Und in die kollektive Erinnerung purzelt bei de Maizière auch alles, was bei drei nicht aufm Baum ist, um es mal salopp auszudrücken: Brandenburger Tor, 9. November, Karneval. Landsmannschaftlich? Aus welcher Zeit stammt eigentlich Herr de Maizière? Ach ja, und seit wann erkennt man Mentalitäten am Klang der Sprache? Hat denn niemand dieses Pamphlet auf Dummheit gegengelesen?

Meiner Meinung nach hätte Herr de Maizière zurücktreten sollen. Aber das habe ich schon mehrfach gedacht. Stichworte: Euro Hawk, Sturmgewehr G36, BND-Ausspähung.Herr de Maizière ist aber der Innenminister, der nie zurücktritt. Auch wenn er es nach ungeschriebenen, ethischen Gesetzen längst hätte müssen. Stattdessen missbraucht er seine Kompetenzen, veröffentlicht seine private Meinung auf der Seite des Innenministeriums (das ist Missbrauch öffentlicher Gelder) und verlangt von anderen genau das, was er damit ad absurdum führt: Wenn sich Herr de Maizière um die ungeschriebenen Gesetze kümmern will, sollte er den Beruf wechseln. Vielleicht Pfarrer werden?